Die letzten 2 Jahre

Dezember 2023: Vertrauen und Innerlichkeit

Die Arbeit bei Sonett endete 2022 und ich wurde wieder in die behaglich existenzielle Selbstständigkeit geworfen. Nach einer Phase als Dozent am Salem Kolleg in Überlingen intensivierte ich meine Aktivitäten als Organisationsberater und Autor. In einem großen Projekt übernahm ich die Finanzen und Vertragsangelegenheiten, stand einigen Organisationen mit Rat und Tat zur Seite und verfasste zahlreiche Texte. Mit „Gravitage“ habe ich eine Organisationsberatung gegründet, die für ein neues und tiefes Wirken von Organisationen in der Welt stehen soll (www.gravitage.org). Teil des „Integralen Praxisfeldes“ zu sein, ist ein Highlight des letzten Jahres gewesen; die Art von Kultur und Organisation, die wir dort leben, möchte ich weiter in der Arbeit vertiefen. Eine Subgruppe davon beschäftigt sich mit dem Thema Medien und Journalismus, mit dem Ziel, die Medienlandschaft menschlicher, vernünftiger und kraftvoller werden zu lassen, sicher wird hier auch eine Beratungs-Praxis entstehen. Ich freue mich, dass mein Essay über „Ostdeutschen Intellektualismus“ noch im Dezember in der Berliner Zeitung erscheinen wird. Was die Promotion angeht, habe ich eine längere Pause eingelegt, da ich mich von meiner Betreuerin gelöst hatte. Dieses Projekt wird nunmehr bald wieder aufgenommen. Abseits davon stand ein Wohnortwechsel vom Bodensee in die Sächsische Schweiz im Fokus, der sich absolut richtig angefühlt hat und dessen Früchte ich nun beim Eisbaden in der felsigen Wesenitz oder beim seilfreien Klettern an der Bastei auskosten kann. Zudem beschäftige ich mich mit psychoaktiven Substanzen, assoziativem Wirtschaften und familiären Angelegenheiten, sodass für weit auseinanderliegende Gegensätze genug gesorgt ist.

Mai 2022: Kraftvoll und gut geführt in den Sommer

Der Frühling hier am Bodensee kam wie eine Epiphanie mit einem Schlag und früh. In der Arbeit bei „Sonett“ kam ich besser an, vor allem zuletzt. Die Üppigkeit des Sommers machte mir die letzten Jahre zu schaffen und ich kam in eine Art Starre durch einen physischen Dauerexzess. Dieses Jahr gelingt es besser, indem ich punktuell physisch-energetische Dinge von hoher Intensität unternehme und gleichzeitig ein rhythmisches, geregeltes und sehr inspirierendes geistiges und berufliches Leben führe. In den nächsten Wochen steht die Proben- und Konzertphase mit dem Ichos-Vokalensemble an, die Vorbereitung einer info3-Ausgabe zum Thema „Bewusstseinserweiterung“, die Bewerbung auf ein journalistisches Stipendium zu Psychedelika, Arbeit am Buch und Live-Treffen mit Ethik-Verantwortung-Arbeitswelt e.V., sowie Lesem und Schreiben für die Promotion, eventuell noch ein Enneagramm-Workshop zu Liebe, Partnerschaft und Intimität. Darüber hinaus schwelt gerade einiges, das ich lieber im Geheimen belasse.

November 2021: Bürgerliches Exil und Tiefenwidmung

Der Sommer ging ins Land und ich genoss ihn kaum, weil ich mir fortwährend Sorgen um den Winter machte und wie das gesellschaftliche Leben und meine bescheidene Existenz sich überschneiden würden. Es kam so, wie ich es befürchtet hatte. Allerdings hatte ich vorgesorgt und glücklicherweise hatte sich die Fügung ergeben, in einen stetigen Job mit Sicherheit und Perspektive zu wechseln. Nun arbeite ich für das Unternehmen „Sonett“, das ökologische Wasch- und Reinigungsmittel herstellt und lebe im Hinterland des Bodensees. Als Selbstständiger im Kulturbereich sagten mir die mittelfristigen Aussichten nicht mehr zu, außerdem liebe ich es, Organisationen kennenzulernen und mich mit Tiefgang einer Sache zu widmen. Gleichzeitig kommt meine Partnerin perspektivisch in die Bodensee-Region, sodass ich umso eifriger ein schönes Zuhause für uns suche zur Zeit. Im September/Oktober passierte auch schon einiges: Master-Arbeit zu George Spencer Brown, Ambidextrie und Christopher Alexander, eine Info3-Ausgabe zum Thema „New Work“ und das schöne „World Goetheanum Forum“ waren die Highlights.

Juli 2021: Nationalpark und Zukunftsformung

Momentan ist Ferienzeit, auch wenn mein Phantasma dauerhafter Produktivität das nicht wahr haben will. Darum bin ich zur Zeit für einzelne Projekte aktiv, mache aber auch viel Aktives in der Natur und fahre in der Welt umher. Zum Beispiel habe ich seit März 2021 eine Ausbildung zum Nationalparkführer Sächsische Schweiz absolviert, deren erste Prüfung ich schon bestanden habe. Nach der praktischen Prüfung im August kann ich dann offiziell Touren anbieten und leiten. Dazu werde ich allerdings kaum kommen, die Formung der nächsten Zukunftsschritte arbeitstechnisch steht an, neben den Projekten, die zur Zeit viel Aufmerksamkeit brauchen: Ethik-Verantwortung-Arbeitswelt, Bachelor of Being, Info3, meine zweite MA-Arbeit. Mußezeit verbringe ich alleine beim seilfreien Klettern im Elbsandstein oder beim Wandern mit meiner Liebsten, der Schwellenläuferin Siarah Katharina. Eine schöne Zeit im Zenit des Jahres!

Go & Change – Ein Auf- und Abgesang

Versuch eines integralen Erfahrungsberichts mit Modellcharakter

Alexander Capistran / Juni 2020

Intentionale Gemeinschaften erproben eine Kultur jenseits des bürgerlichen Lebens und haben daher Hochkonjunktur. Sie erproben neue Weisen des Zusammenlebens und verstricken sich dabei oft in alte Probleme. Am Beispiel des Projekts „Go & Change“ möchte ich dieses Spannungsfeld zwischen der mutigen Suche nach neuen Formen und dem Taumel der regressiven Agonie mit integralem Vokabular illustrieren.

Jüngst gab es negative Presse für Go&Change, ein Mainpost Artikel vom 25.5.2020 warf dem Projekt, das seit 2015 besteht und seit 2016 im ehemaligen Kloster Maria Schnee in Lülsfeld bei Schweinfurt eine intentionale Gemeinschaft mit Seminarbetrieb aufgebaut hat, „Psychoterror und sexualisierte Gewalt“ vor, was die Gemüter bestimmter Szenen überregional erhitzte. Die Mainpost hat in der Zwischenzeit einige vorwiegend kritische Artikel und Berichte gebracht, Go&Change hat wiederum auf der Seite www.alle-seiten.org versucht, ein ausgewogeneres Bild seiner selbst durch zahlreiche Erlebnisberichte zu zeichnen.

Dieser Text versteht sich als Diskursergänzung, durchaus in Anlehnung des Momentums durch die Artikel, aber auch als Vertiefung der Perspektiven auf das Thema und somit auch als Korrektiv der Artikel selbst. Im besten Fall können nicht nur mit dem Feld von Go&Change assoziierte Menschen daraus etwas ziehen zu der Frage: Wie kann Kultur und Gemeinschaft heute authentisch gelebt werden – und wie nicht?

Mein persönlicher Hintergrund ist, dass ich einige Initiatoren des Projekts 2015 kennengelernt habe und seit 2016 bis Weihnachten 2018 in unregelmäßigen Abständen vor Ort war. Die letzten anderthalb Jahre habe ich also nicht direkt, sondern nur durch Schilderungen von Dritten mitbekommen. Das worüber ich schreibe, bezieht sich aber hauptsächlich auf das, was ich persönlich erlebt habe. Und ja: Es ist standortbezogen, enthält subjektive Momente und spiegelt sicher auch meine eigenen Themen wider. Dennoch halte ich es für angemessen, zu der Causa etwas beizutragen. Meine Intention in diesem Text ist ein möglichst differenziertes Bild zu zeichnen, es ist ein Auf- und Abgesang zugleich. Anders könnte jede integrale Annäherung auch nicht aussehen, heißt „integral“ schließlich auch „umarmend“, das heißt positiv wie negativ zugleich, kein Entweder-Oder, mit der Intention, eine höhere Perspektive, wo nicht selbst zu geben, versuchen ko-zukreieren. Ob das hier gelingt, kann ein Jeder, eine Jede, selbst für sich prüfen.

Warum ich Go&Change schätze?

  • Die Verbindung von Schattenarbeit, also Therapie von psychischen Pathologien, und intentionaler Gemeinschaft. Die Präzision, mit der Muster des unliebevollen Verhaltens untereinander analysiert und durch Interventionen bearbeitet werden, hat mich immer wieder beeindruckt. So habe ich kleinere Verhaltensmuster reflektieren und teilweise ablegen können und in Bezug auf tiefere Ängste oder schwerwiegendere psychische Dispositionen (Selbsthass, Kontrollbedürfnis, Narzissmus etc.) ein Stück weit bewusster reagieren können. Diese Vision wird mit Unnachgiebigkeit und hohem Anspruch bei Go&Change gefordert und gefördert (Involution, heilen dessen, was schon da ist). Das hat mich schwer beeindruckt, berührt und war eine nachhaltige Faszinations- und Inspirationsquelle.
  • Die Fokussierung auf Ideale wie Liebe, Selbstverantwortung, Entwicklung, die in ihrer Einfachheit im Widerstreit zu vielen Verhaltensformen von uns Menschen stehen. Dieser hohe Anspruch, der nichts durchgehen lässt, hat etwas Kraftvolles an sich. Ich habe auch Menschen erlebt, die eine beachtliche Entwicklung vollzogen haben, die ich bei ihrem ersten Besuch als schüchterne, zerstreute Personen wahrgenommen habe und die ein Jahr später selbstbewusst, klar und gute Führungspersonen geworden waren. Ich glaube also ganz sicher, dass ein Aufenthalt bei Go&Change für viele Menschen in dieser Hinsicht positive Effekte hatte: (Evolution, entwickeln von neuen Komplexitäten).
  • Den Experimentcharakter einer neuen Lebensform mit integralem Anspruch. Ein Hauptgrund für die Attraktivität des Projekts ist meines Erachtens nach die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Sinn in der Spätmoderne. Integral betrachtet, kann man sagen, holt das Projekt Menschen mit Überdruss von modernem (Orange) und postmodernem (Grün) Weltbild ab. Gerade letzteres verleiht dem Projekt seinen spezifischen Charme, da es sich durch einen anderen Umgang mit den Themen Hierarchie, Bewusstsein, Entscheidungsfindung, u.v.m. auszeichnet. Es ist mutig, über die Kultur von klassischen grünen intentionalen Gemeinschaften hinauszugehen, die häufig in horizontaler Gleichgültigkeit (alle sind gleich, alle dürfen alles entscheiden), mangelnder Führung und Entschlossenheit, sowie pseudo-gemeinschaftlichem Gruppengeist versinken. Gerade hier hat Go&Change Respekt verdient für das Experimentieren und fortwährende Elaborieren einer postpostmodernen Lebensform (Gelb und beyond integral gesehen). Experimente verlangen jedoch auch einen besonderen Schutzraum, so ist es zumindest in der Wissenschaft. Ob dieser bei Go&Change ausreichend bestand, darf berechtigt angezweifelt werden.
  • Durch die unkonventionelle Kultur hat Go&Change unglaublich stark polarisiert, vor allem die alternative Öko/Gemeinschaftsszene mit spirituellem Einschlag – die einen liebten es, die anderen hassten es. Darin liegt für mich auch eine Leistung, nämlich die Indikatorfunktion, die das Projekt in den letzten Jahren innehatte: Durch unkonventionelle Praktiken, die dem Duktus der Wellness-Jeder-Fühlt-Seine-Eigene-Wahrheit-Mentalität vieler alternativer Kreise entgegenliefen, war Go&Change innerhalb der Szene ein Stein des Anstoßes von Debatten, Auseinandersetzungen und letztlich: Selbstreflexion. Man konnte sich nicht nicht dazu verhalten, eine Stellungnahme: Wie stehst du dazu? War in vielen Gesprächen unumgänglich. Das muss man erst einmal schaffen.
  • Ich möchte noch den Aspekt der gesteigerten Intensität der Erfahrung und Sensibilität anführen, den Go&Change für mich fast beispiellos verkörpert. Was passiert, wenn sich eine Gruppe von Menschen wirklich aufeinander einlässt, versucht sich auf einer tiefen und sehr anspruchsvollen Ebene zu begegnen, und dem, was sonst höchstens punktuell im ganz kleinen Kreis oder beim Therapeuten stattfindet, einen Platz im Zentrum der eigenen Lebensform zu geben, ist enorm. Die Intensität der Gruppenerfahrung, die ich persönlich nicht oft, aber doch oft genug erlebt habe, ist gewaltig. Die Sensibilität für zwischenmenschliches Verhalten nach einem Besuch bei Go&Change war für mich immer außerordentlich hoch im Ergebnis; wie mit neuen Augen konnte ich Konflikte und Persönlichkeiten in meinem Umfeld, sowie mein eigenes Verhalten, wahrnehmen, genauer die psychologischen und systemischen Tiefenstrukturen zwischen den Menschen.

Gerade beim Punkt der Intensität leite ich über zu der Beschreibung der Schattenseiten, die ich hier etwas ausführlicher erörtern möchte – weil zu den Lichtseiten mittlerweile Erlebnisberichte en masse verfügbar sind und weil die Schattenseiten von Go&Change selbst nicht gesehen werden möchten. Mir geht es dabei nicht um strafrechtlich relevante Dinge. Dazu habe ich persönlich keine Anhaltspunkte. Mir geht es aber um moralische, kulturelle und philosophische Aspekte, über die die Beteiligten Rechenschaft ablegen sollten und für die sie sich nach einer Selbstreflexion möglicherweise sogar entschuldigen könnten.

Was ich kritisch sehe bei Go&Change:

  • Der unorganische Exzess: Die rauschenden Feste, die oft gefeiert werden, setzen der ohnehin hohen Intensität die Krone auf. Es entstand ein Bild in mir von Go&Change als einer sich endlos steigernden Teenager-Party unter Erwachsenen; Tanzen, Lachen, Drogen, Sex (wobei die letzten beiden bei den öffentlichen Wochenenden keine Rolle spielten). Oder besser: Go&Change als die Einlösung einer unabgegoltenen Sehnsucht der Teenager-Zeit nach Freude, Party und Intensität im sonst so drögen Erwachsenenalter, die sich immer mehr steigert, bis sie an ihrer eigenen Intensität implodiert (auch spirituelles Wachstum kann Wachstumszwängen unterliegen). Ich selber bin in der Weihnachtszeit 2018 zu Go&Change gegangen, weil ich damals ein Craving verspürte nach dieser Intensität, Teil davon sein wollte, durchaus, weil ich mein eigenes Leben zu dem Zeitpunkt als ungenügend, fade, empfand. Das war nicht liebevoll von meiner Seite, aber verständlich ob der Sogwirkung der Intensität. Das Exzesshafte haftet dem Projekt auf mehreren Ebenen an: Exzess der Entwicklung, Exzess der Gemeinschaftlichkeit, Exzess der Feier. Wo ist das harmonisierende Korrektiv, das dem Yang auch sein Yin gegenüberstellt, das die organische Natur des Wachstums verbürgt? Als ich einmal einem G&Cler gegenüber bemerkte, ich vermisste die Langsamkeit, blaffte er mich an: „Unser längster Prozess dauerte 23 Stunden“. Das war nicht gemeint: es ging um das Organische psychischen Wachstums. Dem fortwährenden Entwicklungsdruck (Exzess der Entwicklung) unterliegen gerade auch lange psychologische Prozesse, die durch Phasen der Ruhe, des bedingungslosen Angenommenseins, des Fehler-Machen-Dürfens, der Stagnation begleitet sein müssen.  Davon habe ich deutlich zu wenig gesehen. Mythisch gesprochen: Eine alte weise Frau hätte dem Projekt gutgetan.
  • Linienabsolutismus innerhalb der Gruppendynamik. Integral ist „Line Absolutism“ das Wort für Überbetonungen bestimmter Fähigkeiten bzw. menschlicher Vermögen; dass also von der Stärke oder Schwäche eines Menschen in einem bestimmten Bereich auch auf die Stärke bzw. Schwäche in anderen Bereichen geschlossen werden kann. Das ist bei Go&Change meiner Meinung nach viel passiert. Was ich nicht ganz neidlos sagen kann, ist, dass sich dort viele Menschen tummelten, die ein sehr umfassendes Verständnis der menschlichen Psyche mit ihren Abgründen und auch ihren Schokoladenseiten hatten. Ein großes Problem entsteht dann, wenn aus dieser psychologischen Kompetenz eine Allmächtigkeit extrapoliert wird, die alle anderen Bereiche des Lebens durchwirkt: Vielen ist das vermutlich gar nicht aufgefallen, aber wie oft wurde von Kai Krischiks psychologischer Kompetenz auf soziale, kognitive, philosophische, politische etc. Kompetenz geschlossen? Diese Omniszienz- und Omnipotenz-Tendenzen haben leider klassischen Guru-Problemen Vorschub geleistet.
  • Kritikunfähigkeit. Zwar wird viel über die Schatten der einzelnen Menschen gesprochen, aber zu behaupten, dass das Kollektiv, der kulturelle Organismus Go&Change in seiner Grunddisposition auch Schatten haben könnte, gleicht einem Sakrileg. Das habe ich selbst öfters erfahren. Egal ob die Kritik einen Punkt trifft und/oder von einem unliebevollen Ort aus geäußert wurde, ist der Umgang damit häufig unangemessen. Entweder die Person wird vor der ganzen Gruppe gechallengt und eingeschüchtert oder (wie in meinem Fall zwei Mal vorgekommen), die Person wird in ein Hinterzimmer bestellt, wo die Leitung des Klosters denjenigen zur Rede stellt und Ultimaten setzt: Entweder du vertraust und hörst auf zu kritisieren, oder du musst binnen X Stunden gehen. Daniel eröffnete mir hier wenig Vertrauen einflössend: „Ja. Wir könnten dich zerstören – aber das wollen wir doch gar nicht“. Ich glaube, es ist offensichtlich, dass das eine einschüchternde Wirkung hat, unabhängig von den Sachverhalten um die es konkret geht. Als ich zwei Mitglieder nach einer längeren Vorgeschichte ruhig und sachlich darauf hinwies, dass sie in einem Fall unsauber kommuniziert hatten, sprangen diese vom Tisch auf, riefen „Fuck You!, Fick dich! Fuck You!“, zeigten die Mittelfinger mit wutverzerrtem Gesicht und brachen abrupt auf von der Veranstaltung, wo wir zusammen waren. Egal, was vorher war, so etwas ist unangemessen und nicht liebevoll. Wahre Kritikfähigkeit bzw. Weisheit zeigt sich so: Der Kritisierte bleibt ruhig und souverän, er/sie ist nicht mit dem Gesagten identifiziert und kann sich selbst beobachten in der Situation. Außerdem greift er die Kritik auf und zeigt mit Gründen und vor allem Taten, dass sie unbegründet ist.
  • Manipulation der Pressefreiheit und Öffentlichkeit: Kritik gehört zu einer aufgeklärten Öffentlichkeit untrennbar dazu. Verfolgt man interne Gesprächsdynamiken oder jetzt Korrespondenzen mit der Öffentlichkeit bei Go&Change, drängt sich der Eindruck auf, nur die Person soll sprechen, die am höchsten entwickelt ist. Wer aus einer (vermeintlich) niederen Perspektive argumentiert, sollte schweigen. Hier liegt aber etwas grundsätzlich im Argen: ein bewusstseinsstufenbasiertes Recht, Kritik zu äußern oder nicht zu äußern, gibt es nicht und das ist gut so. Das wäre der Versuch von durch vermeintliche psychologische Kompetenz begründeter Zensur – die passiv bis aktiv aggressiven und mundtot-machen-wollenden Korrespondenzen von Felix Krolle z.B. mit Benjamin Stahl von der Mainpost und den Weltanschauungsbeauftragten zeigen das recht anschaulich. Sicher: Die Öffentlichkeit, und mit ihr die Mainpost, hat ein modernistisches Weltbild, dem viele implizite Grundannahmen von Gemeinschaftlichkeit, Entwicklung, Spiritualität suspekt sind. Anstatt diesem Umstand aber mit Weitblick, Gelassenheit  und Liebe zu begegnen, wird in eine Verteidigungshaltung gegangen und zum Gegenangriff geblasen.
    Berichterstattungen, Zeugenberichte, Google-Rezensionen versucht Go&Change zu unterbinden oder in ihre Richtung zu lenken. Das ist autoritär und zeigt einen großen modernistischen (orangenen) Schatten des Projekts auf: Die Öffentlichkeit als klassische moderne Errungenschaft muss auch für ein integrales Projekt eine wichtige und vor allem unabhängige Variable bleiben. Klar sollte man versuchen, adressatenbezogen zu kommunizieren, weil die Öffentlichkeit sich aus vielen verschiedenen Menschen mit ganz unterschiedlichen Weltbildern zusammensetzt. Aber akzeptieren und umarmen muss man sie letzten Endes in der Form, wie sie sich zeigt – allein schon durch ihr Drehmoment, ihre Eigendynamik, das für einzelne nicht zu bändigen ist. Die Google-Rezensionen des Projekts geben dafür ein gutes Zeugnis: Jeder hat das Recht dort zu schreiben, was er über das Projekt denkt und das ist gut so. Dort zeigt sich eben die polarisierende Wirkung; die Einen loben himmelhochjauchzend, die anderen kritisieren scharf, teilweise sogar recht fundiert. Das dann als „Cybermobbing“ anzuprangern, wie geschehen, ist naiv und lächerlich. Als Redakteur einer Zeitschrift haben eine Autorin und ich die gestörte Beziehung von Go&Change zur Öffentlichkeit selbst erlebt. Nach so viel Modernismus wieder mythisch gesprochen: Ein ultimativ von sich überzeugtes, dabei aber hochgradig empfindliches Kind, das zwischen fiesem Tätersein und beleidigtem Opfersein hin- und herpendelt, kurz: ein klassischer Narziss.
  • Gaslighting: Imbalance von Projektionen und Introjektionen. Es ist grundsätzlich vernünftig, Bewegungen mit Gegenbewegungen in Verbindung zu bringen, nie Dinge monokausal, einseitig zu sehen. Für mein Dafürhalten gibt es eine fatale Einseitigkeit in der Methode (ja es gibt ein Toolkit von Sets und Settings, das durchaus methodischen Charakter hat) von Go&Change: Nimm alles zu dir, räum erst einmal bei dir auf, bevor du was zu mir sagen kannst; du bist schuld, du bist unverantwortlich. Deine Kritik läuft ins Leere, denn du bist unliebevoll. Da ist in den allermeisten Fällen etwas dran, und so haben die beteiligten Menschen dann erstmal daran zu knabbern. Dass ihre Kritik, so einfach sie vielleicht ausfallen mag, ein Quäntchen Wahrheit enthalten könnte oder wertvolles Feedback sein könnte, stand nie zur Debatte. Es ist eine ungleiche Gleichung: Hier ist Go&Change, „die höchste Perspektive“ und da sind du und dein Schatten, deine Begrenztheit. Jeglicher Dissens, jegliche abweichende Meinung wird als „Projektion“ deklassiert. Wer dialektisch denken kann, weiß, dass ein Extrem nie ohne sein Gegenteil unterwegs ist, dieses Gegenstück zur Projektion vermisste man bei Go&Change allerdings. Ich habe es (etwas anders als der psychologische Fachterminus definiert) als Introjektion bezeichnet. Wenn Projektion die Übertragung eigener Gedanken, Emotionen und Wahrnehmungen auf andere bedeutet („Du bist wütend“, obwohl die Person selbst wütend ist), dann meint Introjektion die Gegenseite:  das Überschreibenlassen der eigenen Wahrheit und Wirklichkeit durch die projizierten Gedanken, Emotionen eines Anderen („Ich bin wütend“, obwohl die andere Person wütend ist und projiziert). Selbst wenn das nicht vorsätzlich geschehen sein sollte bei G&C, liegt es in der Natur der Sache, dass Fehler beim Feedbackgeben gemacht werden, die sich ob ihrer Überzeugungskraft die Menschen häufig zu Eigen machen, annehmen. Diese Fehlerkultur in Bezug auf Introjektionen konnte ich nicht erkennen. Die Aggression, die Härte, das Definitive in der Attitüde vieler Go&Changler waren dabei ungewohnt und konnten einen überrumpeln. In einer Selbsthilfe-Gruppe zu Go&Change auf der undjetzt?!-Konferenz 2019 sagte ein Teilnehmer: „Ich war mir sehr sicher, dass ich nichts Schlechtes gemacht hatte, aber irgendwann nach langer psychischer Bearbeitung durch die Gruppe kam der erschreckende Punkt, an dem ich es selbst geglaubt habe!“. Dieses Phänomen, wenn Projektionen anderer zur eigenen Wirklichkeit werden, nennt sich „Gaslighting“. Das ist meines Erachtens ein Grundwirkungsprinzip der Manipulation bei Go&Change. Das klassische integrale Tool des 3-2-1-Prozesses, in dem Projektionen aus der Dritten-Person-Perspektive wieder integriert und zur Ersten-Person-Perspektive umgewandelt werden können, muss also durch die kontinuierlich mitlaufende Umkehrbewegung eines 1-2-3-Prozesses ergänzt werden, in dem geprüft wird, welche Dinge, die ich zu mir genommen habe, gar nicht zu mir gehören und wieder in die Dritte-Person-Perspektive umgewandelt werden sollten. Das ist ein genauso einzuübendes Handwerk wie der 3-2-1-Prozess.
  • Unterminierung der menschlichen Freiheit. Die wohl zentralste Kritik, die ich vorbringen möchte, richtet sich auf den mangelnden Respekt des Projekts „Go&Change“ für die Freiheit des Individuums. Nicht nur, dass wichtige Rückzugsräume Menschen in der Kerngruppe nicht zugestanden wurden, wie ich von Freunden gehört habe, sondern dass sich ein Zustand etablierte, den ich auch selbst oft erlebte, wo Gruppenmitglieder ihre Individualität an die „höher Entwickelten“ oder die Gesamtgruppe abgeben. Eine Person, mit der sich eine Zärtlichkeit anbahnte, sagte mir: Vorher „müsste da nochmal jemand vom Leitungsteam drüberschauen“. Das ist Heteronomie im Mantel der Selbstverantwortung (Fake-Second-Tier ohne integriertes Orange). Selbst wenn das von der Führung nicht intendiert gewesen sein würde, hätten sie diese Umstände wahrnehmen und Abhilfe schaffen müssen. Selbst wenn jemand genau wüsste, was mir in meiner Entwicklung gut täte, (was schon mal zweifelhaft ist) ist es paradox und pädagogisch falsch, die Einsicht und Handlungsveränderung die Person nicht selbst vollziehen zu lassen, sondern von außen einzugeben, was wiederum zu einer Entwicklungssinn-Abhängigkeit führen kann. Die bei Go&Change oft kolportierte Grundbotschaft: „Geh in deine Kraft, geh in deine Selbstverantwortung“ ist großartig. Was aber zuhauf passiert, ist, dass die Leitung über die unhinterfragte Deutungshoheit verfügt und vor allem, was das Hauptproblem ist, oft handlungsleitend wirkt: Mach doch mal dies und jenes, du solltest das und das machen, um dich zu entwickeln. Das Perfide ist: oft sind dies sogar gute Beobachtungen und Tips, nur subvertierten sie das, wofür sie eigentlich stehen sollten: Selbstverantwortung und freier Wille im Geiste der Liebe. Was würde Kai jetzt wohl machen oder sagen? Was wäre, wenn er jetzt zur Tür hineinkommen würde? Das habe ich sehr oft gehört und es lag wie ein wabernder Schatten über der Gesamtatmosphäre. Das merkt man auch noch an der Reaktion einiger Ehemaliger, „Verstoßener“: Die Loyalität erhält sich auch nach für die Betroffenen teilweise entwürdigenden Vorgängen und Zerwürfnissen. Die ehemalige Abhängigkeit von der Gruppe bzw. der Fremdführung durch eine Autorität ist immer noch wirksam, nur stumm. Stockholm-Syndrom im subtilen Bereich.
  • Unangreifbarkeit durch Ungreifbarkeit: Zuletzt möchte ich noch subtile Faktoren benennen, die schwer greifbar sind, aber eine große Relevanz haben. Hier geht es um atmosphärische Gewalt und Härte. Viele Prozesse wurden mit Aggression geführt, die als entschiedenes Grenzen-Aufzeigen und nüchternes Spiegeln legitimiert wurde. Das ist keine Apologie von Pseudo-Freundlichkeit oder „professioneller Distanz“, sondern einfach die Beobachtung, dass Härte und Aggression, Wut, einen integralen Teil der Wucht der psychologischen Arbeit des Projekts bilden. Auf Seiten der Gemeinschaftsmitglieder und Gäste, die nicht zu denen gehören, die die Ansagen machen, erzeugt das Angst, Scham, Schuldgefühle, und das prägt die Atmosphäre weithin. Integral aufgeschlüsselt wird bei Go&Change mit folgenden subtilen Kräften gearbeitet: Angst als aktivierte instinktive Kraft des Überlebenwollens (Beige), Scham aus Angst vor dem Verstoßensein vom eigenen „Tribe“ (Purpur), aktivierte Schuldgefühle durch ungenügende Befolgung der geltenden Gemeinschaftsregeln (Blau), gepaart mit externem und internalisiertem Leistungs-Schuldkult durch mangelnde Bewusstseins-Entwicklungs-Produktivität à la „Ich komme meiner Entwicklungs-Verpflichtung nicht nach“ (Orange). Der Versuch, die Schatten auf diesen Ebenen zu integrieren, resultierte meiner Beobachtung nach eher in einer manipulativen Aktivierung dieser Ebenen, mit dem Effekt, die Leute kleinzuhalten und einen unendlichen Entwicklungsdrang anzutreiben. Wenn ich die Menschen dort auf mich wirken lasse: Einige wenige wirken gestärkt und kraftvoll (vor allem diejenigen, die neu sind oder die die Ansagen machen). Im Großen und Ganzen aber strahlen die Menschen nicht, sondern wirken abgespannt, flatterhaft und servil. Ja: Happiness-Pseudo-Gemeinschaften sind kein Beispiel gelingender Liebeskultur. Aber diese Go&Change-Grundstimmung, zumindest wie ich sie erlebte, auch nicht: So sieht evidentermaßen keine Liebe aus. Von der mitschwingenden Arroganz ganz zu schweigen. Wie gegenüber Andersdenkenden, Ehemaligen und ganzen Gemeinschaften (z.B. den Kirschblütlern) abfällige Äußerungen getätigt wurden, war nicht mehr christlich und prägte sich der Atmosphäre zusätzlich auf.

Was bleibt also schlussendlich? Klar steht viel auf dem Spiel: Es sind Liebesbeziehungen und Freundschaften zerbrochen an der Sache, Häuser wurden gekauft in der Nähe, Lebenszeit und Arbeit wurden hineingegeben, große Geldsummen, manchmal ganze Erbschaften, wurden in das Projekt eingegliedert. Wenn das jetzt alles „umsonst“ gewesen sein sollte, wäre das für viele Beteiligte sicherlich ein herber Verlust. Aber das muss nicht so sein, wenn eine besonnene und umsichtige Selbstreflexion der Initiatoren und Leiter stattfindet, die für Versöhnung, Frieden und Gerechtigkeit sorgen könnte. Um jeden Preis zu versuchen, als überlegen und über jedwede Kritik erhaben dazustehen, ist kein praktikabler Ansatz. Es braucht Signale, die Selbstkritik erkennbar werden lassen, sonst wird das Projekt an seiner eignen abgeschotteten Entropie implodieren. Bisher ist von herzlicher Selbstkritik und Entschuldigung kein Deut erkennbar. Manchmal reichen auch schon kleine Zeichen der Versöhnung, um wieder eine Reziprozität, eine Augenhöhe zu ermöglichen.

Integral gesehen kommen gerade in den oben genannten Punkten Mängel hinsichtlich der integralen Höhe des Projekts auf: Klar ist es schwer, second-tier-Kultur zu leben, weil es kaum Vorbilder gibt, und weil die Formen dazu die komplette Palette des First Tier bilden, zwischen denen virtuos und situativ gewechselt werden kann. Die Metaperspektive zu halten und nicht in die Pathologien der einzelnen Stufen abzudriften, ist ganz sicherlich nicht leicht. Einige nicht integrierte Anteile in der Grunddisposition reichen hin, um in der Kombination mit einem sozialen Stufen-Kompetenzmodell viel Unheil anzurichten („Gelebter Wilberianismus“ nannte das ein Freund, freilich mit mangelnder Demut gegenüber seiner selbst).  Eine Selbstreflexion auf die strukturellen Schatten des Projekts, zu der auch die Öffentlichkeit, die Aussteiger usw. beitragen, könnte das wieder ins Lot bringen.

Ich wünsche dem Projekt, dass es in seiner bisherigen Form zugrunde geht (was den Anzeichen nach ja auch passiert) und nach einer Phase der Selbstreflexion in neuer, dezentraler, freiheitlicherer, reiferer und achtsamerer Form seine Fortführung erfährt. Das käme einer Aufhebung im dreifachen Sinne gleich, also Nicht-Mehr-Sein des Alten, ein Aufbewahren der guten Essenz des Alten und ein Heraufheben auf eine qualitativ neue Stufe. So besteht für mich Hoffnung, dass die mutigen und wegweisenden Aspekte dieses Projekts nicht mit dem Abstreifen seiner jetzigen Hülle mitverschwinden werden. In diesem Sinne: Go and Change yourself!

Meine Vision

Was mich motiviert, ist die Tiefentransformation des gesellschaftlichen Lebens hin zu mehr Resilienz, Nachhaltigkeit, Reflexivität und Lebensfreude. Dass ich darunter keine Worthülsen verstehe, versuche ich in verschiedenen Feldern unter Beweis zu stellen: Vor allem Wissenschaft, Bildungsarbeit, Projektmanagement, Beratung, Kunst, Journalismus und Autorschaft, sowie Eventorganisation und Konzeptentwicklung bilden meine primären Zugänge zur Umgestaltung der Welt.

Die Engführung von natürlichen und kulturellen Wurzeln mit elaborierten und komplexen Konzepten und Strukturen macht mein Wirken aus; einfach und komplex zugleich. So wirke ich an einer Welt mit, die aus der Kraft der Einfachheit und des Nüchternen, wie aus der Verheißung einer bewussten und leistungsfähigen Kultur heraus, gleichermaßen gespeist ist.

Wenn Sie dabei mein Komplize sein möchten, treten Sie gerne mit mir in Kontakt.